Die Auswirkungen der Coronakrise auf alle Aspekte des Lebens sind nach wie vor erheblich. „Dennoch haben wir bis heute keine Welle von Kreditausfällen erleben müssen“, sagt Jürgen Sonder, Präsident der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing, kurz BKS. Allerdings warnt Sonder davor, dass sich die steigende Inflation, die dynamisch entwickelnden Energiepreise und anhaltende Lieferkettenprobleme auf mittlere Sicht in den Kreditbüchern der Banken bemerkbar machen könnten. Gefahren für die Wirtschaft und die Banken sieht Sonder auch durch die dramatische Entwicklung der vierten Coronawelle und mögliche drastische Maßnahmen der Politik durch regionale und selektive Lockdowns sowie Einschränkungen für Branchen wie Einzelhandel, Gastronomie, Freizeit- und Eventgestaltung.
Während zu Beginn der Pandemie noch Kreditausfälle im Bereich von 60 Milliarden Euro bis 2021 befürchtet worden waren, korrigierte ein Großteil der befragten Risikomanager der deutschen Kreditinstitute in der aktuellen Herbsterhebung ihre erwarteten NPL-Bestände auf insgesamt 32 Milliarden Euro bis Ende des Jahres 2021 und 37 Milliarden bis Ende 2022.
Im Herbst-Snapshot des NPL-Barometers, das seit 2015 von der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing und der Frankfurt School of Finance & Management unter den Risikoabteilungen der deutschen Banken erhoben wird, werden nun weniger starke Aktivitäten auf dem Markt für notleidende Kredite (Non-performing Loans, kurz NPLs) erwartet als noch im Juni 2020 und im Februar 2021.
„Die negativen Erwartungen stiegen zu Beginn der Pandemie rasant auf den höchsten Wert in der Geschichte des Barometers an“, sagt Sonder. Die Risikomanager in den deutschen Banken hatten im Rahmen der weltweiten Lockdowns und angesichts der Lieferkettenprobleme also massive Kreditausfälle und damit erhöhte Transaktionstätigkeiten befürchtet.
Der Erwartungswert ging vom Höchststand von 0,42 im Jahr 2020 zunächst auf 0,25 im Februar 2021 und nun auf 0,13 zurück. „Zwar geht noch eine Mehrheit der Risikomanager von steigenden Kreditausfällen aus“, so Sonder. „Deren Zahl aber reduziert sich immer weiter.“ Gleichzeitig wuchs der Wert für die tatsächlich beobachtete Marktentwicklung seit Ausbruch der Pandemie kontinuierlich an: von -0,17 im Jahr 2020 auf null im Februar 2021 und nun auf 0,02 im Oktober 2021.
Mit Blick auf die aktuellen gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen warnt Jürgen Sonder jedoch: „Die Niedrigzinspolitik der vergangenen Jahre hat die Schuldenaufnahme scheinbar risikolos erscheinen lassen, doch steigender Inflationsdruck und Lieferkettenprobleme könnten sich auf mittlere Sicht auch in den Kreditbüchern der Banken bemerkbar machen. Die europäische Bankenaufsicht warnt daher zurecht regelmäßig davor, Rückstellungen für Kreditausfälle vorschnell zu reduzieren.“
60 Prozent der Befragten des NPL-Barometers gehen davon aus, dass der Kreditboom und die große Liquidität der vergangenen Jahre die Entstehung von „Zombie-Unternehmen“ begünstigt haben – also Unternehmen, die nur durch immer neue Schulden überleben. „Gerade solche Unternehmen werden aber in Schwierigkeiten geraten, wenn die Notenbanken dazu gezwungen werden, die Leitzinsen zu erhöhen“, sagt Sonder.
Für den wohnwirtschaftlichen Immobilienkreditbereich gingen im NPL-Barometer 2020 noch 56 Prozent der Risikomanager von steigenden NPL-Beständen für die Zukunft aus. Nach der Stabilisierung der Wirtschaft erwarten nun 59 Prozent, dass die Bestände auf gleichem Niveau verbleiben werden. Nur noch drei Prozent gehen von steigenden NPL-Beständen im wohnwirtschaftlichen Bereich aus.
Im gewerblichen Immobilienbereich traf die Krise diverse Branchen unmittelbar, sodass gerade in diesem Segment Ausfälle zu befürchten waren. „Doch auch hier haben die staatlichen Hilfsmaßnahmen Wirkung gezeigt“, sagt Jürgen Sonder. Knapp die Hälfte aller Befragten konnte in den vergangenen zwölf Monaten keine Veränderung bei den NPL-Beständen gewerblicher Immobilienkredite feststellen. Bei 18 Prozent konnten diese sogar reduziert werden.
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), von denen viele besonders durch die Lockdowns betroffen waren und in den nächsten Monaten wieder betroffen sein dürften, könnten am stärksten unter Kreditausfällen leiden. Beim NPL-Barometer 2020 erwarteten noch 77 Prozent der Befragten steigende Ausfälle in diesem Bereich. Im Herbst 2021 sank dieser Wert nun auf 26 Prozent. Rund die Hälfte der Befragten erwartet, dass die NPL-Bestände künftig stabil bleiben. „Jedoch kann im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen und der gewerblichen Immobilienkredite noch keine Entwarnung gegeben werden, auch wenn sich das Stimmungsbild etwas aufgehellt hat“, sagt Prof. Dr. Christoph Schalast, Vorsitzender des Beirats der BKS und Professor für Mergers & Acquisitions, Wirtschaftsrecht und Europarecht der Frankfurt School of Finance & Management.
Zur Methodik:
Gefragt wird nach der tatsächlichen Entwicklung innerhalb der vergangenen zwölf Monate und der erwarteten Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten. Dabei werden die NPL-Bestände, die Kaufpreise, die Nutzung von Verkäufen und Outsourcings, die regulatorischen Rahmenbedingungen und die Entwicklungen auf den Immobilienmärkten unter die Lupe genommen. Das NPL-Barometer ist auf einer Skala von -1 bis +1 abgetragen. Werte im negativen Bereich der Skala sprechen für einen weniger aktiven NPL-Markt, während ein positiver Wert für höhere NPL-Bestände, mehr Transaktionstätigkeit und geringere Verkaufspreise spricht.
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